Leistungsumfang
Das Erreichen der gesetzlichen Schutzziele ist oberste Maxime im präventiven Brandschutz. Es gilt nachzuweisen, dass der Gefährdung von Leben und Gesundheit von Personen durch einen Brand vorgebeugt sowie die Brandausbreitung wirksam eingeschränkt wird. In den meisten Fällen erfolgt dieser Nachweis bis heute rein deskriptiv, obwohl mit den Ingenieurmethoden im Brandschutz bereits hochwertige rechnerische Werkzeuge zur Verfügung stehen. Mit diesen Simulationen nach mathematisch-physikalischen Prinzipien können Brandereignisse sehr genau berechnet und bewertet werden. Die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) beauftragte uns an der HTL Mödling die Entfluchtung zu simulieren – eine Entscheidung mit großem Mehrwert.
Wie verhält sich ein Gebäude im Brandfall? Wie schnell breiten sich Feuer und Rauch aus? Wie lange dauert die Evakuierung? Zur Beantwortung dieser Fragen stellen die Ingenieurmethoden im Brandschutz ein besonders wirkungsvolles Instrument für. So kann mit Brand- und Rauchausbreitungssimulationen oder Personenstromanalysen das Brand- und Fluchtszenario sehr genau antizipiert werden. Die Erkenntnisse dienen der Sicherheit im Brandfall, lassen aber auch eine genauere Brandschutzplanung und ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis zu. „Anders als in Schweden oder Großbritannien sind Simulationen in Österreich trotz dieser Vorteile bisher nicht auf breiter Basis etabliert. Derzeit kommen sie meist nur bei Einkaufszentren, Verkehrsgebäuden und Veranstaltungsstätten zum Einsatz“, so Werner Hoyer-Weber. „Sie könnten Bauherren aber auch bei anderen Gebäuden mit komplexer Architektur und Nutzung oder bei Sanierungen wichtige Entscheidungsgrundlagen liefern.“
Simulation soll Klarheit bringen
Ein Beispiel dafür ist die HTL Mödling, für die wir eine Entfluchtungssimulation durchführten. Die mit rund 3.600 Schüler/innen größte Schule Europas wurde von 2012 bis 2014 erweitert und in großen Teilen saniert. Um das 1904 eröffnete Gebäude auf dem neuesten Stand der Technik zu halten, finden im Auftrag der BIG weiterhin Sanierungsvorhaben und Evaluierungen statt – das betrifft auch die Fluchtwege. „Hier hat der beauftragte Brandschutzplaner zuletzt zwei neue Treppenhäuser gefordert, weil er nach der OIB-Richtlinie 4 eine Überlastung der bestehenden Treppenhäuser festgestellt hat. Da die jährlichen Räumungsübungen aber zeigen, dass das Gebäude innerhalb weniger Minuten evakuiert ist, sollten wir die Entfluchtung mit einer Simulation überprüfen“, erklärt Hoyer-Weber die anspruchsvolle Ausgangslage.
Zwei Szenarien auf dem Prüfstand
Wir simulierten die Entfluchtung in zwei Szenarien: auf Basis der bestehenden Architektur und mit zwei zusätzlichen Treppenhäusern. Zu den Parametern zählten die Gehgeschwindigkeiten in der Ebene bzw. treppauf- und abwärts, die Reaktionszeit oder die Schulterbreiten, die im Modell die Flächen pro Person definieren. Die Simulation zeigte, dass die einzelnen Geschoße und das gesamte Gebäude, so wie es im Bestand ist, innerhalb eines sicheren Zeitraumes verlassen werden können und es nicht zu relevanten Staubildungen kommt. Das zweite klare Ergebnis: Die zwei weiteren Treppenhäuser würden keinen wesentlichen Beitrag zur Entfluchtung leisten – auch weil diese nur über bestehende Treppenhäuser erreicht werden können, was keinen Vorteil bei der Entfluchtungszeit bedeutet.
Der Mythos vom genormten Gebäude
„Wir sehen hier sehr anschaulich, dass das reine Richtlinienstudium für viele Gebäude nicht mehr reicht“, so Hoyer-Weber. Der Gesetzgeber lasse Abweichungen von den Richtlinien auch zu, wenn die Schutzziele durch kompensierende Maßnahmen erreicht werden – in Brandschutzkonzepten sei das gängige Praxis, um für Bauherren die technisch und wirtschaftlich beste Lösung zu finden. „Dafür können wir den Nachweis deskriptiv erstellen, oder unsere Argumente im 3D-Modell veranschaulichen. Fakt ist, dass Simulationen wissenschaftlicher und technisch sauberer sind“, so Hoyer-Weber. Während sich die Richtlinie im Fall der HTL Mödling auf die Gegenüberstellung von Personenzahlen und Fluchtwegsbreiten beschränkt, liefert die Simulation die tatsächliche Entfluchtungszeit und zeigt zudem Bereiche mit Gefahr einer Staubildung auf.
Qualitätskriterien
Mit ihrer tiefergehenden Betrachtung stellen Simulationen wertvolle Informationen bereit, sind aber auch eine verantwortungsvolle Aufgabe. Für valide Ergebnisse kommt es – wie bei jedem Rechenmodell – auf die Eingabe geeigneter und anerkannter Parameter sowie die Auswahl passender Szenarien an. Letztlich muss der Simulationsbericht für die Behörde so aufbereitet werden, dass sie ihn mit ihren Fachkenntnissen ausreichend beurteilen kann. Auch bei der HTL Mödling bildete eine enge Abstimmung mit der Behörde die Basis für die positive Begutachtung: Zunächst wurde geklärt, ob eine Simulation als Nachweis der sicheren Entfluchtung anerkannt wird. Im zweiten Schritt wurden die Bewertungskriterien gemeinsam definiert.
Evolution der Planung
„Ich bin überzeugt davon, dass sich Simulationen mehr zur Selbstverständlichkeit in Behördenverfahren entwickeln – auch weil sie immer genauer und leistungsfähiger werden“, so Hoyer-Weber. So können mit Daten zu Dichte, Temperatur oder Geschwindigkeit eines Brandes für jeden Punkt eines Gebäudes Aussagen über die Rauchgaskonzentration, den CO2-Gehalt in der Luft oder die thermische Belastung getroffen werden. Das erlaubt es die nötige Breite von Fluchttreppen exakter zu bestimmen, Entrauchungs- und Sprinkleranlagen besser anzupassen oder gewisse Bauteile schlanker, ressourcenschonender und kostengünstiger zu dimensionieren. Hoyer-Weber verweist dabei auf ähnliche Entwicklungen im Bereich der Statik: Wo früher standardmäßig mit einem Sicherheitsfaktor von 2 gearbeitet wurde, werden Lasten seit der Entwicklung der Eurocodes differenzierter betrachtet. „Vielleicht gehen wir im Brandschutz auch diesen Weg und konzipieren in ein oder zwei Jahrzehnten Gebäude standardmäßig mit Simulationen?“
2020-2022, Mödling
Bundesimmobiliengesellschaft m.b.H.
Schule
30.000 m²