Bildungscampus Gersthof, Außenansicht Hauptgebäude · Foto: Robert Tober

Brandschutz für ein Wiener Baudenkmal: Das Orthopädische Krankenhaus Gersthof als neuer Bildungscampus

Erhalten Bestandsobjekte eine andere Nutzung, gilt im Brandschutz der Stand der Technik als neuer Maßstab – kein einfaches Unterfangen. Handelt es sich dabei um das orthopädische Krankenhaus in Wien-Gersthof, ein hundert Jahre altes denkmalgeschütztes Gebäude, ist besondere Lösungskompetenz gefragt. Wir haben uns dieser Aufgabe bei der Bestands- und Funktionssanierung des ehemaligen Spitals gestellt, das zu einem vollwertigen Schulstandort – dem Bildungscampus Gersthofumfunktioniert wurde. In enger Abstimmung mit dem Architekturbüro Franz&Sue sowie dem Bundesdenkmalamt ist es gelungen, den Brandschutz des architektonischen Kleinods nach modernen Ansprüchen zu gestalten. Einbußen für den charakteristischen Charme des 1920er-Jahre-Baus kamen nicht in Frage, weshalb im Brandschutzkonzept auch unkonventionelle Wege eingeschlagen wurden.

Das orthopädische Krankenhaus Gersthof wurde von 1924–1926 im Stil der Spätsecession, des Art Déco und Expressionismus errichtet. Es beherbergte eine Spezialklinik für Orthopädie, diente ursprünglich aber als Entbindungsanstalt. Als Schulstandort erhält das Gebäude eine vollkommen neue Nutzung. Die Voraussetzungen schuf eine Bestands- und Funktionssanierung durch die Bundesimmobiliengesellschaft, bei der das ehemalige Krankenhaus zu einer zeitgemäßen Bildungseinrichtung umgewandelt wurde. Der neu geschaffene Bildungscampus Gersthof bietet im Hauptgebäude Platz für 23 Stammklassen, in einem Nebengebäude stehen Naturwissenschaften auf dem Lehrplan. Zwei neu errichtete Sportpavillons runden das pädagogische Angebot ab.

Bildungscampus Gersthof · Südseitiger Ansicht des Hauptgebäudes und Stiegenhaus. © Robert Tober Photography · www.toro.cc
Hoyer Brandschutz hat die Transformation des ehemaligen orthopädischen Krankenhauses zum zeitgemäßen Schulstandort begleitet: von der Einreichung bis zur Ausführung.

Neue Richtlinien für alte Mauern
Wir haben für die Umnutzung des 2019 geschlossenen Krankenhauses den Brandschutz konzipiert. „Zunächst besteht unsere Aufgabe immer darin, die gesetzlichen Schutzziele im Brandschutz zu erfüllen. Bei Umwidmungen haben wir es allerdings mit einer anderen Planungsgrundlage zu tun, da in diesem Fall der baurechtliche Konsens nicht mehr besteht“, erklärt Projektleiterin Melania Nagy. Das bedeutet, dass auf Basis der aktuellen Gesetze und Regelwerke der Stand der Technik herzustellen ist.

Tragendes erhalten
Aus diesem Grund zielte das Brandschutzkonzept darauf ab, den Bestand so weit wie möglich in die Neuplanung zu integrieren – allem voran die Deckenkonstruktionen. Da der Feuerwiderstand der bestehenden Ast-Molin-Decken zu gering war, wurden diese mit abgehängten Brandschutzdecken auf der Unterseite ertüchtigt. Der Estrich schützt die Konstruktion von oben. Die Brandschutzverkleidungen sind dabei gleich mehrfach von Vorteil: Die geschoßweise Brandabschnittsbildung wird sichergestellt, die Tragstruktur bleibt trotz Nutzungsänderung erhalten und die Schutzziele im Brandschutz sind erfüllt. Zudem erhöht sich die Planungssicherheit, da nicht für jeden einzelnen Bauteil brandschutztechnische Nachweise nach aktuellen Richtlinien vorgelegt werden müssen.

Stiege 1 und der Denkmalschutz
Eine andere Ausgangslage zeigte sich bei jenen Bereichen, die im Fokus des Denkmalschutzes stehen und sichtbar erhalten bleiben müssen. Dazu zählen insbesondere die Fassade, die Eingangshalle sowie die Stiege 1, das Bestandstreppenhaus. Für Letzteres war ein planerischer Umweg erforderlich, da die Podeste und Treppenläufe den Feuerwiderstand laut OIB-Richtlinien nicht erreichten. „Wir haben die Situation daraufhin neu bewertet und kompensierende Maßnahmen definiert, um die Stiege 1 im Originalzustand zu erhalten“, so Nagy. Die Überlegung: Da Treppenhäuser von Brandlasten frei gehalten werden, liegt die größte Brandgefahr außen, etwa durch einen Einbrand über die Fassade. „Wenn wir aber die Hülle des Treppenhauses stärker schützen, senken wir die Brandgefahr im Inneren auf ein Mindestmaß. Damit können wir das geforderte Schutzniveau erfüllen.“ Die Behörde folgte dieser Argumentation, die durch bauliche Maßnahmen gegen den Brandüberschlag, die Neuherstellung aller Treppenhauszugänge und die Installation einer Brandmeldeanlage realisiert wurde.

Bildungscampus Gersthof · Foyer im Hauptgebäude mit Wienerberger Keramik, Eingang zum Klassenzimmer. © Robert Tober Photography · www.toro.cc
Mit einer Sonderlösung und Kompensationsmaßnahmen im Brandschutzkonzept konnte das opulent ausgestattete Bestandstreppenhaus im Originalzustand erhalten werden.

Sicherheit für alle
Stichwort Brandmeldeanlage: Diese wurde in Gersthof flächendeckend im Schutzumfang „Vollschutz“ ausgeführt und mit einer Alarmweiterleitung an die Feuerwehr ausgestattet. Sie sorgt für eine frühzeitige Branderkennung in allen Räumen – dazu zählen auch neu gestaltete, multifunktionale Pausenbereiche, die eine schwerbrennbare Möblierung erhielten. Während die Sicherheit von mobilitätseingeschränkten Personen bei der Errichtung in den 1920er-Jahren nicht geregelt war, sind dafür heute strenge Vorgaben einzuhalten. Umgesetzt werden diese durch sichere Verweilplätze in den Treppenhäusern. Durch einen Nottaster können betroffene Personen ihren Aufenthaltsort für die Feuerwehr sichtbar machen.

Größere Klassen schaffen
Am Bildungscampus Gersthof werden die Garderobenflächen in die Stammklassen integriert. Dadurch entstehen Unterrichtsräume mit einer Größe von bis zu 80 m². Für die Brandschutzplanung bedeutet diese Raumkonstellation allerdings eine erneute Abweichung von den Richtlinien, die für die Unterbringung von Kleidung eigene Räume vorsehen. Um die Schutzziele gleichwertig zu erfüllen, sieht das Brandschutzkonzept geschlossene Garderoben in Form von Spinden vor. Darüber hinaus verfügt jeder Klassenraum über zwei separate Zu- bzw. Ausgänge.

Bildungscampus Gersthof · Pausenraum und Klassenzimmer. © Robert Tober Photography · www.toro.cc
Die Brandmeldeanlage sorgt für eine frühzeitige Branderkennung in allen Räumen – auch in den multifunktionalen Pausenbereichen, die eine schwerbrennbare Möblierung erhielten.

Das große Ganze sehen im NaWi-Haus
Neben dem Hauptgebäude findet der Unterricht auch im früheren Verwaltungsgebäude statt, das den Naturwissenschaften gewidmet ist. Es erhielt ein eigenes Brandschutzkonzept mit einer weiteren Besonderheit: Während Sonderunterrichtsräume für Chemie oder Physik üblicherweise von anderen Nutzungen getrennt werden müssen, bildet das sogenannte NaWi-Haus eine brandschutztechnische Einheit. Bis auf das Treppenhaus und Technikräume im UG gibt es keine brandabschnittsbildenden Bauteile oder Trennwände. Die Überlegung dahinter: Da das gesamte Gebäude naturwissenschaftlich genutzt wird, werden alle Unterrichts- und Lehrmittelräume, das Labor, die Sammlungen sowie sämtliche Lernumgebungen als zusammenhängende Nutzung definiert – das Haus wird damit quasi zu einem großen Chemiesaal. Damit folgt die Brandschutzplanung dem pädagogischen Konzept des offenen Lernens, zudem kann an vielen Stellen auf Wände mit Brandschutzklassifikationen oder abgeschottete Leitungsdurchdringungen verzichtet werden. Das senkt die Errichtungskosten.

Teamwork macht Schule
Von der Einreichplanung bis zur Objektüberwachung haben wir das Bauvorhaben über fünf Jahre hinweg begleitet. Um das historische Objekt wieder mit Leben zu füllen und allen Anforderungen an die Schule von heute gerecht zu werden, war im Brandschutz eine ganzheitliche Sichtweise gefordert. Während zu Beginn die Weichen für grundlegende Aspekte wie die Fluchtwegführung oder den Erhalt tragender Konstruktionen gestellt wurden, ging die Planung später in einen hohen Detailgrad über. Die ambitionierten Ziele wurden letztlich erreicht, was auch auf die konstruktive Abstimmung mit Franz&Sue zurückgeht: „Im Gegensatz zum Neubau gibt ein Bestandsgebäude der Planung Grenzen vor, sowohl in der Architektur als auch im Brandschutz. Da die Motivation auf beiden Seiten sehr hoch war, konnten wir durch einen intensiven Austausch aber sicherstellen, dass innerhalb dieses Rahmens viel Kreativität Platz gefunden hat“, resümiert Nagy.