Rudolf Steiner Schule · Umbau und Erweiterung · Außenansicht Neubau · Fotograf: Aldo Amoretti

Der Mehrwert guter Planung: Die Rudolf-Steiner-Schule macht’s vor

„Klein, aber fein“ könnte die Kurzcharakteristik der Rudolf-Steiner-Schule in Wien Mauer lauten. Österreichs älteste Waldorfschule, untergebracht in einem ehemaligen Herrenhaus, erfüllt nach einem behutsamen Um- und Zubau im Zeitraum von 2022–2024 alle Anforderungen eines modernen Schulbetriebs. Von uns kam das Brandschutzkonzept für den von den Architekten Dietrich Untertrifaller und ANDIBREUSS konzipierten Entwurf. Während die Fluchtwege von der Architektur profitierten und auch der eingegrabene Turnsaal in puncto Brandschutz kein großes Kopfzerbrechen bereitete, war an anderer Stelle Tüftelei nötig: vor allem bei der Tragstruktur, wo mit Stahl und Holz ein wärmeleitendes Material direkt auf ein brennbares traf.

Seit 1969 fördert die Rudolf-Steiner-Schule im Maurer Schlössl in Wien-Mauer Kinder und Jugendliche bei der Entfaltung ihrer Fähigkeiten. Um dafür auch in Zukunft ein geeignetes Umfeld zu bieten, wurde die Schule zwischen 2022 und 2024 umgebaut und erweitert. Der Neubau bietet Platz für vier Horträume, Sonderunterrichtsräume und eine Dachterrasse für den Freiluftunterricht. Vor allem aber ist darin – erstmals seit Bestehen der Schule – ein eigener Turnsaal untergebracht.

Zur Hälfte unterirdisch: Der Turnsaal
Der zweigeschoßige Turnsaal, der einen Großteil des Unter- und Erdgeschoßes einnimmt, stellt eine Besonderheit dar: Die Fußbodenoberkante liegt mit minus 3,5 Metern unter dem anschließendem Terrain. Da die Außenwände des Saals aber etwas mehr als fünfzig Prozent darüber liegen, konnte der Saal brandschutztechnisch als oberirdisches Geschoß eingestuft werden. In Bezug auf die Bauweise entscheidend: „Untergeschoße erfordern nicht brennbare Konstruktionen in Stahlbeton. Ein Holzbau, wie geplant, wäre in diesem Fall nicht möglich gewesen“, so Projektleiterin Margit Petrak-Diop. Die oberirdisch verlaufende Fassadenfläche war daher genau zu definieren. Der finalen Lösung kann Petrak-Diop viel abgewinnen: „Durch die Eingrabung ist der Turnsaal weniger hoch, hat aber Tageslicht und zählt nach den OIB-Richtlinien als oberirdisches Geschoß.“ Das ermöglichte eine Holzbauweise mit natürlichen Dämmstoffen wie Stroh, Holz oder Hanf als Wärmeschutz.

Ingenieurmethoden für ökologische Ausführung
Der Einsatz natürlicher Materialien wurde auch bei der Tragstruktur Thema. Eine Ausführung mit Stahlstützen und -blechen in Kombination mit Holzträgern war vorgesehen – aus Brandschutzsicht eine zunächst kritische Mischung: „Wir haben auf der einen Seite Stahl, einen guten Wärmeleiter, und auf der anderen Seite Holz, ein brennbares Material, wo eine Wärmeeinwirkung grundsätzlich zu vermeiden ist“, erklärt Petrak-Diop. Um für die tragenden Bauteile das Schutzziel – in dem Fall einen Feuerwiderstand von sechzig Minuten – nachzuweisen, galt es geeignete Anschlusslösungen zu finden. Diese sollten nach Möglichkeit ohne großflächige Brandschutzanstriche auskommen: Mit den aufschäumenden Beschichtungen lassen sich Bauteile zwar schnell und unkompliziert vor Hitze schützen, gleichzeitig können diese aber zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr sortenrein zerlegt und wiederverwendet werden – auf die Ökobilanz wirkt sich das negativ aus.

Die Abklärung einer potenziellen Wärmeeinleitung der Stahlteile in die Holzkonstruktion zog viele Abstimmungen zwischen Brandschutz, Architektur, Statik und den ausführenden Firmen nach sich. Um die beiden Materialien brandschutztechnisch sicher miteinander zu verbinden, wurde vor allem auf statische Berechnungen zurückgegriffen: Für die Holzträger wurde der Abbrand berechnet, für die Stahlteile eine Heißbemessung nach Eurocode durchgeführt. Die Ingenieurmethoden lieferten die benötigten Informationen, um das Verhalten der Konstruktion im Brandfall realistisch zu beurteilen. Letztlich konnte nachgewiesen werden, dass alle notwendigen Bauteile auch bei einer Beanspruchung durch Feuer für sechzig Minuten tragfähig bleiben. Das bedeutete grünes Licht für die favorisierte Ausführungsvariante – der Einsatz von Brandschutzanstrichen wurde massiv reduziert.

Der multifunktionale Laubengang
Gut zu sehen ist die Holz-Stahl-Ausführung beim Laubengang, der den Zugang zu neuen Horträumen und zu zwei Schulklassen im ersten Obergeschoß des Neubaus bildet. Dem Gangbereich werden gleich mehrere Rollen zuteil: als Sonnenschutz, Aufenthaltsbereich und außenliegender Fluchtweg, über den Personen zu zwei Fluchttreppen gelangen. Diese befinden sich jeweils an den gegenüberliegenden Enden des Laubengangs und führen Flüchtende in den Garten oder Außenbereich der Schule. Für die am Laubengang situierten Bildungsräume stehen damit zwei voneinander unabhängige Fluchtwege zur Verfügung – ein großes Plus, denn: „Oft wird nur auf die Länge der Fluchtwege von maximal vierzig Metern geachtet, aber vergessen, dass die Richtlinien darüber hinaus zwei Fluchtrichtungen vorschreiben“, weiß Petrak-Diop. Da der Laubengang beide Anforderung erfüllt, war im Brandschutzkonzept eine wesentliche Einsparung möglich: Bei der Verglasung der an den Laubengang grenzenden Klassenräume konnte auf eine Brandschutzqualifikation verzichtet und normales Glas verwendet werden.

Rudolf Steiner Schule · Umbau und Erweiterung · Laubengang und Fluchtweg · Fotograf: Aldo Amoretti
Die Klassenzimmer des Neubaus werden über einen Laubengang erschlossen, der gleichzeitig als außenliegender Fluchtweg dient. Foto: Aldo Amoretti

Neue Gestaltung, neue Lernkultur
Im September 2024 hat die nachhaltig um- und ausgebaute Rudolf-Steiner-Schule ihren Betrieb aufgenommen. Die Schülerinnen und Schüler profitieren von mehr Platz und Licht, einem gesunden Raumklima und flexibel nutzbaren Flächen zum Lernen, Spielen, Kommunizieren, Werken und Bewegen. Brandschutzplanerin Margit Petrak-Diop, die selbst Architektur studiert hat, spricht der Gestaltung ein Lob aus: „Ich habe schon sehr viele Bauvorhaben begleitet, aber diese Schule ist wirklich ein Kunstwerk. Von außen ist sie nicht nur schön, sondern besitzt einen fast skulpturalen Charakter. Innen strahlt sie viel Gefühl aus, umfängt einen auf angenehme Art. Es kann für junge Menschen kaum ein besseres Umfeld geben, um wissbegierig zu sein.“

Fotos: © Aldo Amoretti/Rudolf-Steiner-Schule Wien-Mauer/Dietrich | Untertrifaller Architekten