
21 Sep. 2021 Das Haus am Schottentor: Eine Planung mit Zeitreise
Das ehrwürdige Haus am Schottentor, erbaut in den Jahren 1910-1912 für den Wiener Bankverein, wurde seit 2018 umfassend revitalisiert. Nach seiner Wiedereröffnung 2021 schlägt es mit einem neuen Nutzungskonzept, neuen Mietern und runderneuerter Haustechnik ein weiteres Kapitel in seiner Geschichte auf. Das Ingenieurbüro Hoyer Brandschutz hatte die Aufgabe das Gebäude brandschutztechnisch zu modernisieren. „Alles neu“ war dabei aber nicht die Devise, denn viele Bereiche des ehemaligen Finanzgebäudes sind denkmalgeschützt. Für das Brandschutzkonzept begaben sich die Planer auf eine intensive historische Spurensuche.
Tradition und Moderne treffen im Haus am Schottentor unmittelbar aufeinander: Der frühere Kassensaal, in dem über hundert Jahre lang Bankgeschäfte abgewickelt wurden, beherbergt nun eine exklusive Gastronomie-Zone mit Nahversorger, der einstige Tresorraum ein Nobelfitnessstudio. Hinzu kommen flexible Büroflächen. Hoyer Brandschutz erhielt von HNP architects den Auftrag für die Revitalisierung das Brandschutzkonzept vom Entwurf bis zur Einreichung zu übernehmen – weiters die Begleitung bei der Genehmigung, die Ausführungsplanung und Consulting über die gesamte Projektlaufzeit.
Zurück in die Errichtungsjahre
Weite Teile des Gebäudes und viele originale Ausstattungen stehen unter Denkmalschutz. Sie mussten erhalten bleiben, aber dennoch zeitgemäßem Brandschutz entsprechen. Dazu zählen in erster Linie der monumentale Kassensaal im Hochparterre sowie im 1. OG – der früheren Direktionsetage – das prunkvolle Oktogon. Für das Brandschutzkonzept musste der Blick zunächst in die Vergangenheit gerichtet werden. Die sprichwörtlich größte Baustelle war der Erhalt der Eisenbetonrippendecke über dem Hochparterre. Sie wurde mit einer brandschutztechnischen Einzelbewertung in aufwendiger Kleinarbeit analysiert. Dabei prüfte Projektleiterin Margit Petrak-Diop über 140 Seiten mit statischen Berechnungen aus dem Zeitraum der Errichtung, verortete jeden Bauteil in den damaligen Plänen und rekonstruierte so den Feuerwiderstand der Decke Stück für Stück. „Erst dann konnten wir planen, denn nun waren wir in der Lage zu beurteilen, wo der Schutz ausreicht und wo Teile der Decke ertüchtigt werden müssen“, so Petrak-Diop.
Die Glasdecke im Oktogon steht auf der Kippe
Ein planerischer Drahtseilakt war auch die Decke des Oktogons, die mit einem denkmalgeschützten ornamentierten Glasfeld abschließt. „Glas kann Feuer nicht viel entgegensetzen – trotzdem musste die Decke im Brandfall neunzig Minuten Feuerwiderstand bieten“, erklärt Petrak-Diop. Nach einer Analyse der Konstruktion wurde die Decke in drei Strukturebenen – Glasfeld, Hauptträger und Sekundärträger – eingeteilt und die eigentliche Tragstruktur festgelegt. Diese wurde ertüchtigt und über der Glasdecke ein Hohlboden eingezogen, der den nötigen Feuerwiderstand für den Raumabschluss bietet. Dass sich letztlich eine genehmigungsfähige Lösung findet, sei lange unklar gewesen, erinnert sich Petrak-Diop: „In Zusammenarbeit mit dem Architekten, erfahrenen und geprüften Professionisten und der Behörde haben wir wirklich alle Planungs- und Ertüchtigungsoptionen ausgeschöpft.“
Sicherer flüchten
Wenn es um historische Bausubstanz geht, ist auch die Fluchtwegplanung meist komplex, da größere bauliche Änderungen oft nicht erwünscht sind. Anders im Haus am Schottentor: Das Gebäude verfügte bereits über vier Fluchttreppenhäuser – im Zuge der Sanierung kam ein zusätzliches hinzu. Es stellt sicher, dass Flüchtende von jedem Punkt im Haus nach maximal vierzig Metern einen sicheren Ort im Freien oder ein anderes Fluchttreppenhaus erreichen. Neue Brandschutzverglasungen und -rollos sorgen außerdem dafür, dass Feuer aus den umliegenden Nutzungen nicht in die Treppenhäuser gelangt. Entscheidend bei der Gestaltung der Fluchtwege ist aber nicht nur, wo sich Personen aufhalten und wie ihre Fluchtrouten verlaufen, sondern wie viele Personen überhaupt gleichzeitig im Gebäude anwesend sein dürfen. Antworten darauf geben Personenstromanalysen, die im Haus am Schottentor auch wichtige Erkenntnisse für die Planung kürzerer Fluchtwege und Entlastung der bestehenden Treppenhäuser lieferten.
Verbesserte Anlagentechnik
Insgesamt wurden mehr als 100 Räume revitalisiert, die gesamte Haustechnik erneuert und auch der anlagentechnische Brandschutz wesentlich verbessert. So wurde nicht nur die Brandmeldeanlage komplett neu hergestellt, sondern es kamen auch brandfallgesteuerte Rauchableitungsöffnungen, Anlagen zur Brandrauchverdünnung und Sicherheitsbeleuchtung auf dem neuesten Stand der Technik hinzu. Eines sucht man aber weiterhin vergeblich: Löschanlagen. „Sprinkler lassen sich in historischen Gebäuden kaum unsichtbar unterbringen und zerstören zwangsläufig Bausubstanz. Im Haus am Schottentor waren andere Maßnahmen außerdem deutlich wirtschaftlicher“, erklärt Petrak-Diop.
Rentabel entscheiden und planen
Apropos Wirtschaftlichkeit: Das neue Nutzungskonzept für das Haus stammt vom Projektentwickler PEMA Holding. Bauherren und Architekten schon bei der Projektierung Entscheidungsgrundlagen im Brandschutz zu liefern, sieht Petrak-Diop als zentrale Aufgabe eines Fachplaners an: „Was ändert sich, wenn ein Gebäude zum Hotel wird, kann ich einfach eine Garage einbauen oder ein Restaurant? Welche Nutzung hat welche brandschutztechnischen Anforderungen? Wie hoch sind die Kosten und ist es wirtschaftlich? Dazu müssen wir Fakten bereitstellen.“ Sind diese Weichen gestellt, lassen sich mit einem durchdachten Brandschutzkonzept weitere Optimierungen erzielen. Im Haus am Schottentor wurden etwa die oberen Büroetagen, die vorher jeweils einen großen Brandabschnitt bildeten, in vier Brandabschnitte unterteilt. Das reduziert im Brandfall nicht nur den Schaden, sondern verbessert auch die Fluchtwegesituation entscheidend – dies gilt als oberstes Ziel bei Umbauten und Sanierungen von Bestandsgebäuden.